Wie politisch dürfen Kirchen sein?

Die Schweizer „Konzernverantwortungsinitiative“, die ansässigen Konzernen auferlegen wollte, bei ihren internationalen Geschäften Menschenrechts- und Klimaschutzstandards einzuhalten, konnte bei der Volksabstimmung Ende letzten Jahres einen Achtungserfolg erzielen. Eine knappe Mehrheit der Bevölkerung sprach sich dafür aus – allerdings war eine Mehrheit der Kantone dagegen. Damit war die Initiative gescheitert.

Sowohl die katholische wie auch die protestantischen Kirchen engagierten sich im Vorfeld für die Initiative. Von den Kanzeln wurde dafür ebenso Werbung gemacht wie mit Bannern von Kirchtürmen. In den Kirchengemeinden selbst gab es inhaltlich breite Zustimmung für das Anliegen der Initiative. Aber die Frage, in welcher Form dieses Anliegen im Raum der Kirche zur Geltung kommen solle, spaltete viele Gemeinden. Mit den weithin sichtbaren Bannern zugunsten der Initiative, die von manchen Kirchtürmen wehten, würde, so christliche Gegner der Initiative, der Kirchturm als Symbol der Einheit im Geist jenseits politischer Differenzen, verdunkelt. (Einen Eindruck von einem Kirchturm mit Banner vermittelt dieser Artikel) Aber auch Predigten, deren einziges Anliegen es sei, für die Initiative zu werben, müssten als Missbrauch der Kanzel verurteilt werden.

Vielleicht wären die Kirchen gut beraten, wenn sie sich im Blick auf das Verhältnis von Religion und Politik die klassische Unterscheidungslehre des Konzils von Chalcedon zu eigen machten. Dieses hatte im Blick auf die göttliche und die menschliche Natur Jesu bestimmt, dass beide Naturen als „ungetrennt“ und zugleich „unvermischt“ zu konzipieren seien. Da es den Kirchen um Gott als die alles bestimmende Wirklichkeit geht, kann sie nicht nicht politisch sein – Politik und Religion sind mithin „ungetrennt“. Sie kann aber sehr wohl darauf achten, dass sie religiöse Formen und politische Formen nicht vermischt.

Das Banner der Initiative an der Außenwand eines Gemeindehauses, verbunden mit der Einladung zu einer öffentlichen Debatte von Gegnern und Befürwortern hätte vermutlich niemanden gestört. Denn ein Austausch von Argumenten auf Augenhöhe ist eine angemessene Form politischer Kommunikation. Kirchturm und Kanzel befinden sich aber nicht auf Augenhöhe. Rede und Gegenrede sind nicht möglich – mithin gehören tagespolitische Forderungen, bei denen man aus guten Gründen auch anderer Meinung sein kann, nicht dorthin.

von Rolf Schieder, 15. Mai. 2021

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