Kirchensteuerpflicht ehemaliger DDR-Bürger

Nach wie vor spürt die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg Personen auf, die zu Zeiten der DDR als Kleinkind getauft worden sind, um ihnen einen Kirchensteuerbescheid für den laufenden oder gar einen vergangenen Veranlagungszeitraum zu präsentieren. Das ist jedenfalls dann verfassungswidrig, wenn diese Personen ihr Leben lang von der Taufe nichts gewusst haben, atheistisch erzogen worden sind und als Erwachsene bis heute ein atheistisches Leben geführt haben.

Die Gerichte haben die Zahlungsverpflichtung in diesen Fällen für rechtens erklärt. Pflichtige der Kirchensteuer, die als Zuschlag zur Einkommensteuer erhoben wird, sind alle Mitglieder einer die Kirchensteuer erhebenden Körperschaft des öffentlichen Rechts. Das ist die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg, und die Mitgliedschaft in ihr wird durch die Taufe erworben. Die Kirchensteuererhebung wird als Ausnahme zur grundsätzlichen Trennung von Kirche und Staat durch das Grundgesetz zugelassen. Allgemein gilt im Steuerrecht, dass eine Steuerschuld bei Erfüllung der Tatbestandsmerkmale kraft Gesetzes entsteht. Auf die Kenntnis des Steuerpflichtigen kommt es grundsätzlich nicht an.

Das muss aber aus verfassungsrechtlichen Gründen bei der Kirchensteuer anders sein: Die negative Religionsfreiheit und die religiösen Diskriminierungsverbote verbieten nämlich dem Staat, einer Religionsgesellschaft hoheitliche Befugnisse gegenüber Personen zu verleihen, die keiner Religionsgesellschaft angehören. Die Anknüpfung der Kirchensteuerpflicht an innerkirchliche Regelungen, die die Kirchenmitgliedschaft von der Taufe abhängig machen, verstößt nur dann nicht gegen die negative Religionsfreiheit, wenn der Kirchenangehörige jederzeit die Möglichkeit hat, seine Mitgliedschaft mit sofortiger Wirkung zu beenden. Von dem Austritt kann man aber nur Gebrauch machen, wenn man seine Mitgliedschaft kennt oder nach der Religionsmündigkeit aus eigenem Willen aufrechterhält.

Nun hat der Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin zu den genannten Fällen entschieden, dass eine willentliche Aufrechterhaltung auch dann angenommen werden kann, wenn mit der Existenz einer solchen Mitgliedschaft gerechnet werden kann und muss. Das überzeugt allerdings nur dann, wenn hierfür maßgeblich auf das gesamte bisherige wechselseitige Verhältnis zwischen der Kirche und ihrem Mitglied und nicht auf Annahmen und Vermutungen über Kenntnisse in der Bevölkerung abgestellt wird. So kann einerseits derjenige, der in seinem Erwachsenenleben Kontakte mit der Kirche hatte, sich nicht später auf Vergessen berufen. Und andererseits kann demjenigen, der in der ehemaligen DDR und danach in der Bundesrepublik als Atheist gelebt hat und keinerlei Kontakte zur Kirche hatte, nicht zugemutet werden, eigene Nachforschungen über seine mögliche Taufe vor vielen Jahrzehnten anzustellen.

Für die ehemaligen DDR-Bürger bedeutet das, dass sie erst ab der Mitteilung der Kirche über eine bestehende Mitgliedschaft für die Zukunft der Kirchensteuer unterliegen. Zu diesem Zeitpunkt haben sie aber auch die Möglichkeit, ihre Mitgliedschaft mit sofortiger Wirkung zu beenden.

von Bodo Pieroth, 01. Feb. 2021

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